Reinhold Schneider, Der Turm des Freiburger Münsters
Zur Geschichte des Textes
Während des Zweiten Weltkrieges, aber auch kurz zuvor und kurz hernach, verfaßte Reinhold Schneider eine Fülle von Texten, zumal von Sonetten, die, abgeschrieben und auf vielfältige Weise kopiert, in innerlich und äußerlich karger Zeit zur geistlichen Grundnahrung Ungezählter wurden, die eine Alternative zum herrschenden Ungeist des Nationalsozialismus suchten. Eine wichtige Sammlung solcher Sonette bietet Reinhold Schneiders Bändchen „Apokalypse“, das 1946 (mit Copyright von 1945) im Verlag Hans Bühler jr. in Baden-Baden erschien. In diesem Kontext steht auch das Sonett „Der Turm des Freiburger Münsters“. Es ist im Januar 1944 geschrieben, wie die mit dem Dichter befreundete Schriftstellerin Maria van Look bezeugt1. Das Entstehungsdatum ist deshalb von [64] Bedeutung, weil an ihm abzulesen ist, daß Reinhold Schneider das Gedicht nicht nach, sondern vor dem 27. November 1944 verfaßt hat. Er ist der Tag des schweren Fliegerangriffs auf Freiburg, bei dem große Teile der Innenstadt zerstört wurden, das Münster und zumal sein Turm jedoch erhalten blieben. So aber gewinnt Reinhold Schneiders Zeile „Du wirst nicht fallen, mein geliebter Turm“ eine prophetische Bedeutung. Während immer mehr Städte und Kathedralen den Bomben zum Opfer fielen, wahrte Reinhold Schneider die Zuversicht, daß dieser Turm überstehen werde. Wie das Gedicht zeigen wird, war solche Hoffnung mehr als der Wunschtraum, ein geliebtes Kunstwerk möge nicht untergehen.
-
Maria von Look, Jahre der Freundschaft mit Reinhold Schneider. Aus Tagebuchblättern, Weilheim/Obb. 1965, S. 59. Dieser Erinnerung entsprechen auch die Faksimile-Wiedergaben der Urschrift und der Erstschrift des Sonetts (a. a. O., S. 60 und 61), sowie E. M. Landau u. a. (Hrsg.), Reinhold Schneider – Leben und Werk im Bild, Frankfurt 1977, S. 120, wo von einer Anregung des Textes durch den Freiburger Erzbischof Dr. Hermann Schäufele die Rede ist, der damals Studentenpfarrer in Freiburg war. Die gedruckte Angabe auf S. 61 des genannten Buches von Maria von Look, die vom 21. Januar 1949 als Entstehungsdatum spricht, beruht auf einem Lesefehler der Datierung in Reinhold Schneiders Handschrift. Dies geht nicht nur aus der auf S. 59 wiedergegebenen Erinnerung, sondern auch aus dem Umstand hervor, daß das Sonett ja bereits 1945 an den Verlag Hans Bühler jr. zum Druck ging, der 1946 erfolgte. ↩︎