Wie als Priester heute leben?
Wichtiger ist, daß ich die Einheit im Presbyterium lebe, als daß ich in meiner Aufgabe allein aufgehe.
„Die Freundschaft mit Jesus hat als Frucht und Konsequenz die Freundschaft miteinander.“ „Wer Freund Christi ist, der kann an der Sendung des Bischofs nicht vorbeigehen ...“1 Zwei unmittelbar zusammenhängende Gedanken aus der Predigt des Papstes Johannes Paul II. an die Priester im November 1980 in Fulda. Es wird für uns Priester darauf ankommen, den zweiten Satz nicht im Sinn einer disziplinarischen Ordnung zu hören, sondern den inneren Zusammenhang mit der Freundschaft Christi zu erfassen.
[6] „Wo ist denn mein Nächster?“ (Lk 10,29) fragt der Schriftgelehrte Jesus, nachdem dieser von der Nächstenliebe gesprochen hatte. „Wo ist denn die Kirche?“ fragen viele von uns. Sie suchen sie mit Recht so in ihrer Reichweite, wie Jesus uns den Nächsten in den unmittelbaren Lebensraum gestellt hat. Mancher könnte dann allein noch seine anvertraute Gemeinde sehen und sagen: Dort ist mir Kirche am nächsten. Gewiß! Das folgende ist auch nicht gesagt, als gäbe es eine Klerikerkirche als Sondergemeinschaft der Freunde Christi. Aber die communio mit den Mitbrüdern und dem Bischof gehört auch zu der Kirche, die wir unmittelbar und konkret leben. Ohne die communio der Priester werden auch die Gemeinden nicht zur communio; ohne unsere Herkunft und Verwurzelung in der communio keine communio, die aus unserem Dienst wächst!
Meine Aufgabe als meine Aufgabe bleibt solange bloße Idee und eigener Entwurf, solange sie nicht dort entspringt, wo Kirche als gelebte Realität mich einbezieht. Sie mag manchmal widerständliche Realität sein. Aber gerade so drängt sie zur Wahrheit, die frei machen wird. Mit meinen Ideen kann ich für mich allein kein Leben erfahren. Mit Menschen kann ich es. Ich suche mir aber auch nicht nur die Menschen aus, die auf meiner Wellenlänge liegen. Die Kirche der Mitbrüder und des Bischofs bewahrt mich, Kirche als Geschmacks- und Stilfrage zu betrachten.
Deshalb: Wichtiger ist, daß ich die Einheit im Presbyterium lebe, als daß ich in meiner Aufgabe allein aufgehe.
Und doch nochmals: Stimmt das? Es ist sicherlich ein großer Fortschritt, daß wir heute loskommen von dieser fatalen Zweiteilung: „Heilsmacher“ und „Heilskonsumenten“, aktive und passive Christen – und die aktiven sind die Priester. Ja, die Kirche und jede Gemeinde ist eine Gemeinschaft mit vielen Gaben des Geistes und mit vielen Diensten, die einer den anderen brauchen und ergänzen. Und doch greift es zu kurz, wenn wir den Priester nur als Träger einer, wie auch immer bestimmten und vermittelten, Fülle von Funktionen verstehen. Er kommt durch seine Priesterweihe sozusagen her aus dem Abendmahlssaal, aus dem Kreis der Zwölf, die mit Jesus Mahl hielten und die jene Einheit, die er in seiner Hingabe für alle stiftete und in der Eucharistie zum bleibenden Vermächtnis werden ließ, hineintrugen in die Geschichte. Der Dienst der Apostel wird zur Fortsetzung und Aktualisierung dieses Abendmahlsgeschehens, dieser Gründung des neuen Gottesvolkes im Paschamysterium. Und mit dem Tod der Apostel ist dieser Dienst am je neuen Werden und Bleiben von Kirche nicht zu Ende. Er geht weiter in der Nachfolge der Apostel und in der Teilgabe an ihrer Sendung durch die Weihe. Dann aber ist klar: Priestertum geht wesenhaft darauf aus, Gemeinschaft zu stiften, hier und jetzt, communio mit dem Ursprung. Aber die communio des Priesters mit dem Ursprung ist nicht nur eine persönliche Verbundenheit mit Christus. Der Priester kommt von Christus her – aber indem er herkommt aus der Gemeinschaft derer, die in derselben Sendung, im selben Dienst an der communio stehen wie er.
Darum ist es einfach eine Verkürzung, wenn ich als Priester es gut kann mit denen, die in meiner Gemeinde wirken und leben – aber ich kann es nicht gut mit den anderen [7] Priestern, ich kann es nicht gut mit der Gemeinschaft des Presbyteriums um den Bischof. Nur Gemeinschaft zeugt Gemeinschaft. Und ich kann „meine“ Aufgaben nicht als meinen eigenen Teil mir herausnehmen, auch wenn ich diesen Teil nachher ganz brüderlich mit anderen teilen mag. Ich stehe in der Sendung, die immer rückgebunden werden will an die Gemeinschaft derer, die beim Herrn sind und darum beieinander sind, damit er sie sende.
Papst Johannes Paul II. spricht immer wieder von einer collegialitas affectiva et effectiva2 der Bischöfe. Sie muß sich fortsetzen in einer fraternitas affectiva et effectiva, in einer zugleich herzlichen und menschlichen wie auch tätigen und praktischen Brüderlichkeit der Priester. Und unzählige Male bestätigt es sich: Zeit, die der Priester für seine Mitbrüder hat, ist im letzten Zeit, die er für seine Gemeinde, für die ihm Anvertrauten hat.