Gerechtigkeit besiegt Gewalt

Was heißt heute Gewalt?

Gerechtigkeit bedeutet also Zukunft für alle Menschen, angestrebt in einer weltweiten Solidarität. An diesem Zielbild gemessen, bietet uns aber die Wirklichkeit der Welt ein bestürzendes Bild. Wir begegnen nämlich allenthalben der Gewalt, die den Menschen daran hindert, sich zu entfalten, in Freiheit teilzuhaben an den Chancen der Entwicklung, an den geistigen und materiellen Gütern. Oftmals meinen wir, Gewalt herrsche nur dort, wo Menschen mit Waffen gegeneinander kämpfen, wo Blutvergießen und Überfälle, Brandstiftungen und Unruhen die Verhältnisse bestimmen. Doch ist jene lautlose Gewalt nicht genauso gefährlich, die durch Verfestigung bestehender Ungerechtigkeit den Menschen zur stumpfen Resignation treibt, ihm Hoffnung und Kraft nimmt, sich am Werk und an den Gütern dieser Welt zu beteiligen?

Pauschale Urteile sind immer gefährlich. Zudem ist es in der Tat bedenklich, mit ein paar Klischeevorstellungen sein politisches Meinungsbild zu regulieren. Und oft verfallen wir dem Fehler, unsere eigenen Maßstäbe ungeprüft auf die Verhältnisse anderer Länder anzuwenden, in denen andere Tradition und andere Mentalität notwendig zu anderen Wegen führen, als sie bei uns angebracht wären. Doch auch wenn wir dies alles anerkennen und berücksichtigen, kommen wir nicht daran vorbei zuzugeben, daß in weiten Regionen etwa Lateinamerikas Gewalt herrscht. Sosehr man dieses Urteil im einzelnen differenzieren müßte, in so unterschiedlichem Maße diese Gewalt

Regierungen und Systemen im einen oder anderen Land zur Last zu legen ist, das Grundgefüge sozialer Ordnung, in dem Millionen von Südamerikanern leben, läßt sie nicht den Anteil an der Entwicklung nehmen und die freie Entfaltung ihrer Rechte und ihrer Kräfte gewinnen, die für ein menschenwürdiges Dasein nowendig sind. Gerade dann aber sind die Menschen dort für uns Christen besonders nahe Nächste. Es geht gewiß um eine Hebung der wirtschaftlichen Möglichkeiten, gewiß um Brot und Medikamente; aber es geht noch mehr um die Lebensordnung, um die Gesellschaftsordnung, um die Planung gesunder gesellschaftlicher Verhältnisse.

Schon jetzt ist sichtbar, daß radikale und selbst wiederum gewaltsame Antworten eine werbende und faszinierende Kraft auf jene Menschen ausüben, die ihrerseits nur ans Erleiden von Gewalt gewöhnt sind. Dabei ruft jede Beantwortung von Gewalt mit Gewalt nur neues Unheil herauf. Die Spirale der Gewalt entsteht, in welcher ein Unrecht das andere nach sich zieht und rasch außenstehende Mächte in diese Kette mit hineinflicht.

In Lateinamerika steht die Aufgabe an, die Logik der Gewalt zu durchbrechen, selbst auf Gewalt zu verzichten und doch stark genug zu sein, die Verhältnisse zu ändern.