Philosophisch-Theologische Reflexionen zum Thema: „Unsere Verantwortung für die Welt von morgen“
Vierfache Weltaufgabe
Nun aber einen nur angedeuteten, achten und letzten Schritt zur Problematik der Welt. Welches ist jetzt das menschliche Verhältnis zu einer Welt der Gegebenheiten? Ich möchte vier sehr christliche Worte ins Spiel bringen, aber ich meine sie hier zunächst und ursprünglich nicht in einem christlich-theologischen Sinn, sondern in einem anthropologischen, der im christlichen offenbar wird: „Eucharistie“, „Koinonie“, „Diakonie“ und „Prophetie“.
Was meine ich mit Eucharistie oder Danksagung? Alle menschlichen Kulturen bis hin zur Neuzeit, die als erste eine Ausnahme davon macht, haben einen Raum für den Kult, und zwar für den Kult als ein Dank-Sagen für Gottgegebenes, als eine Art Dank an den unsichtbaren Ursprung. Gegebenes läßt mich immer fragen: woher? Aber es läßt mich nicht nur fragen woher, sondern läßt mich das Gegebene zu diesem noch so entzogenen „Woher“ hinhalten, darbieten. Und ich meine, daß Kultur überhaupt die säkularisierte oder, besser gesagt, säkulare Form von Kult ist. Dinge aufgehen lassen, schön sein lassen, zwecklos einfach gestalten, damit sie seien, gut seien, schön seien, sie feiern, sie sich entfalten lassen und einfach sich wundern, daß dies ist: Dies Urmenschliche ist notwendig, damit Welt Welt sei. Wenn ich nur „machen“ kann, wenn ich nur frage, was brauche ich und was kann ich damit anfangen, dann bin ich und dann ist die Welt mir selber entzogen. Nur in diesem aufgehenlassenden Verdanken, Wundern, Gestalten, Sich-Freuen und Feiern wird Welt Welt. Dann ist sie mehr als bloß ein Rohstoff und Material, in dem ich mich selber spiegele, mit dem ich etwas anfange, das ich unter mich zwinge – um dabei dann doch allein mit [27] mir zu bleiben. Meiner Meinung nach ist diese Dimension, die scheinbar nichts mit Umwelt und Energie zu tun hat und vielleicht sehr viel mit ihr zu tun hat, die erste des Umgangs mit (der Welt. Die zweite ist die „Koinonie“, die Gemeinschaft, der Austausch. Wir finden das Andere nicht irgendwo am Rande draußen, sondern wir finden es zwischen uns. Zwischen dir und mir ist die Welt. Sie ist um uns herum, aber wenn sie um uns herum ist, immer so, daß das, was um uns herum ist, mich mit dir verbindet, daß ich da dir begegne, weil du aus demselben leben mußt. Und da wir aus einer Welt, die den Vielen gegeben ist, gemeinsam leben müssen, deswegen müssen wir Viele uns in dem, was um uns herum ist, begegnen, müssen das miteinander teilen, müssen miteinander ausmachen, wem dieses und wem jenes gehört. Wir haben da miteinander zu tun, stoßen da gestaltend und gebrauchend aufeinander und aneinander, müssen eine Ordnung der Verteilung, eine Ordnung des Miteinander, eine Ordnung der Gerechtigkeit finden, daß jeder seine Welt und damit sein Leben haben kann. Die zweite Aufgabe der Weltgestaltung nach der Eucharistie ist die Koinonie, anders gesagt: ist nach dem Kult und der Kultur die soziale Gerechtigkeit.
Aber daraus folgt unmittelbar auch eine dritte Dimension: die Dimension der – ich sage – „Diakonie“. Es gibt im Miteinander Not, es gibt Zu-kurz-Gekommene – auch dann, wenn es gerechte Ordnungen gäbe. Es gibt Menschen, die in der Welt unten sind und denen die Welt sich nur in einer unendlich schmalen Perspektive eröffnet. Und wenn wir Welt ernst nehmen als nicht nur mein Haben des anderen, sondern als mein Leben mit dem anderen, dann ist Zuneigung zu dem, die Solidarität mit dem, der unten ist, dann ist die Fürsorge für den anderen und der Dienst am anderen notwendig, damit Welt wirklich Welt für alle und so auch erst Welt für mich sei. Dieser Einsatz des Sozialen, Caritativen, Diakonischen, Fürsorgenden gehört zur Welthaftigkeit der Welt.
Nun aber noch eine vierte und letzte Dimension, die den Punkt wiederum einspielt, der uns schon anfänglich beschäftigte: Welt ist das, worin es weitergeht. Dies trat in den folgenden Überlegungen zurück. Wie ich sie bis jetzt dargestellt habe, könnte diese Welt auch in einem einzigen Augenblick, an einem einzigen Tag sein. Aber Welt bleibt ja nicht stehen. Welt geht weiter, und in diesem Weitergehen ist es eine höchst rätselhafte Geschichte. Wir [28] müssen andauernd das, was jetzt nicht ist und was wir nicht im selben Sinn wissen können wie das, was jetzt ist, vorwegnehmen. Wir müssen auf das, was kommt, zuhandeln. Wir müssen es antizipieren. Es geht da nicht um Wahrsagereien, aber wir müssen das Morgen im Heute leben. Eine in diesem elementaren Sinn „prophetische Antizipation im Jetzt“ tut not. Es geht um mehr als bloß das Zusammentragen der Fakten, die sicher morgen sein werden. Nicht nur die Fakten werden morgen sein, sondern die Welt, die größer ist als all diese Fakten. Wir haben die Verantwortung für das Ganze, was morgen sein wird, für unser Morgen und für den anderen Morgen, und wir müssen auf dieses Ganze und je größere Morgen schon jetzt zuleben. Nur dann handeln wir verantwortlich. „Prophetie“ in diesem analogen säkularen Sinne tut not.