Aufgabe der Universalität – Aufgabe der Identität
„Trinitarische“ Versöhnung*
Nun denn, wenn alles dies Aufgaben der Akademie sind, den Ansatz bewahren, das Verlorene wiedergewinnen, das Neue, das aufbricht, erspüren und fruchtbar werden lassen – ist da Akademie nicht restlos überfordert? Lassen diese vielfältigen Aspekte von Bleibendem, von Verlust und Gewinn sich nicht verdichten zu einer einfachen, übersichtlichen, grundlegenden Aufgabenstellung für die Zukunft? Wie kann es wirklich weitergehen? Schauen wir nochmals auf das, was uns verlorenging. Vielleicht läßt es sich auf zwei Punkte konzentrieren, in denen die anderen Verluste gründen. Da ist einmal in Krise geraten die Tradition aus den Ursprüngen, aus denen wir jahrtausendelang leben konnten. Sie sind nicht mehr selbstverständlich, sie sind verstopft, abgeschnitten, in die Ferne gerückt, nicht mehr einfachhin verfügbar, bloßer Appell an sie genügt nicht. Und noch mehr als ein Universitätsprofessor erfährt das mitunter eine Grundschullehrerin mit dem, was Kinder von ihrer Familie noch und nicht mehr mitbringen. Einmal ist also, meine ich, die menschliche Memoria der Ursprünge gefährdet.
Zum anderen aber ist auch in Gefahr geraten jener neuzeitliche intellectus, der unsere Wissenschaft, der unsere technische und nicht nur technische Rationalität heute trägt. Die vor kurzem noch schier einzige Autorität von Wissenschaft ist im allgemeinen Bewußtsein weithin gebrochen. Wissenschaft stößt auf Distanz, Kritik, ja Verdikt. Und doch können wir hinter die neuzeitliche Rationalität nicht zurück.
Und was ist uns neu geschenkt? Vielleicht läßt hier der Akzent sich setzen auf dieses im Sinne des amor gelesene Pneuma.
Die drei großen menschlichen Dimensionen des Geistes, wie sie uns die philosophische Anthropologie etwa eines Augustinus vorstellt: memoria, intellectus und amor – Tradition, Rationalität und pneumatische Lebendigkeit, sie treten auseinander und verlangen neu nach Versöhnung und neu nach Gespräch und Synthese. Vielleicht ist uns die große Aufgabe anvertraut: daß wir diese trinitarische Versöhnung im Gespräch wagen, daß diese drei Größen wieder von innen zueinander finden. Das hieße also, das Unbequeme auf uns zu neh- [104] men: das Unverlierbare der Traditio, ebenfalls das zwar Begrenzte, aber Unaufgebbare jener Ratio, die sich herausgebildet hat, und das Neue und Andersartige des aufbrechenden Pneumatischen zueinanderzuführen und zusammenzufügen. Denn wir leben doch heute in einem merkwürdigen Nebeneinander dreier Gettos, die eigentlich als Gettos alle nicht überleben können. Es gibt einmal das Getto der sich selber wahrenden und beschützenden Tradition. Sie soll sich bewahren und schützen; aber wenn sie nur in sich selber bleibt und darüber klagt, daß sie sich nicht mehr verständlich machen kann, wenn sie l'art pour l'art wird, wenn sie nicht mehr Lebensraum für die anderen wird, wenn sie nicht Quelle wird, aus der die andern schöpfen können, wenn sie sich nicht mehr übersetzen kann, wenn sie nicht mehr Gegenwart wird, dann vertrocknet sie in sich selber. Und in dem anderen Getto sitzt die Rationalität einer mehr und mehr esoterisch werdenden Wissenschaft, die vielleicht viel Macht hat, deren Macht aber Ohnmacht wird über das Herz des Menschen. Und wenn sie Ohnmacht wird über das Herz des Menschen, dann verliert sie ihre prägende Kraft auch für die Zukunft, und irrationale Kräfte drohen sie zu zerstören. Und auf der dritten Seite das Getto der Frommen, der Neufrommen oder der Unfrommen, die träumen, weit weg von allem, randalierend oder zerstörend oder poesievoll oder geistlich, wie auch immer, die aber nicht mit ihrem Pneumatischen, mit ihrer Erfahrung und ihrer Sehnsucht über sich selber hinausfinden. Wenn eine dieser drei Größen allein mächtig wird oder wenn es bloß zu einer äußeren Koexistenz dieser drei Gettos kommt, dann wächst der Lebensraum zu. Es geht darum, diese drei Gettos so aufzubrechen, daß im Gespräch miteinander dieses Leben möglich wird, das einmal Memoria, Gedächtnis, Traditio, Geschichte, zum andern Ratio, Wissenschaft, neuzeitlichen Geist und schließlich Amor, Aufbruch und Unmittelbarkeit des Geistes miteinander eins werden läßt. Hier scheint mir eine säkulare Aufgabe zu liegen, für die ich der Akademie Chancen einräume und Segen wünsche.