Grenzgänger der Transzendenz – eine Zielgruppe der Pastoral

Kindsein*

Die Zäsur zwischen Altsein und Kranksein einerseits und dem Kindsein andererseits indessen ist erheblich. Das „Später“ bedeutet dem Kind gerade nicht der Tod, sondern das Großsein, das Erwachsensein, das Leben mit der Fülle seiner Tüchtigkeiten, Brauchbarkeiten, Funktionen. Ihm ist sein Kindsein auch nicht Grenzsituation im Blick aufs Früher, auf die Herkunft, die zwar erfragt, aber auf Erklärungen, möglichst handfeste und endliche Erklärungen hin erfragt wird. Inwiefern steht dann Kindsein im Kontext von Grenzsituation? Formelhaft gesagt, bekommt unser Satz (Das Ganze kommt ins Spiel) einen neuen Akzent. Hieß er beim alten und beim kranken Menschen: Das Ganze kommt ins Spiel!, so wechselt nunmehr der Ton: Das Ganze kommt ins Spiel. Bedrohliche gegenläufige Tendenzen merzen doch nicht die elementare Disposition des Kindseins zum Spiel aus. Was zum Menschen gehört, das Spielenkönnen, prägt am tiefsten die Phase der Kindheit.

Kurze Orientierungen übers Spielen müssen hier genügen. Spielen heißt: Ich bin, was ich bin, indem ich anderes bin. Spielen ist also Selbstvollzug, der etwas spielt, will sagen etwas, das mehr oder anders oder anderes ist als nur ich. Sodann: Spielen ist immer Zusammenspiel von mir und anderem. Auch dort, wo Spiel nur als Spiel mit mir selber erscheint, mit meinen Fingern etwa oder meiner Stimme. Das Zusammenspiel meiner als dessen, der spielt, mit mir als dem, womit ich spiele, hat seine Überraschung, hat seinen Ereignischarakter, hat seine unselbstverständliche Konsonanz. Spiel als Zusammenspiel hat es ferner an sich, daß das Ganze des Spieles und somit eben auch das andere, womit bzw. der andere, mit dem [149] ich spiele, hineingehören, einbezogen sind in mein spielendes Verhalten: Spielen ist Spielen eines Partes und Übernahme des Partners in meinem Part. Schließlich ist Spiel angelegt auf Gelingen, auf einen Überschuß des Spiels über das, was ich bewerkstelligen, machen, erzwingen kann.

Spiel ist dann aber kein bloßes Kinderspiel. Es ist Spiel vom Dasein, Spiel vom Menschsein. Die Grundproportionen dessen, wie Dasein und Menschsein gehen, die Selbsttranszendenz von Dasein und Menschsein, ihr Charakter als Mitspiel mit einem Ganzen, das übergreift, ihre Verwiesenheit auf ein sie erfüllendes „Geschenk“ stellen sich im Spiel dar. Spiel ist jene „Grenzsituation“ des Daseins, in der es mit sich, mit seiner Selbsttranszendenz begabt wird. Im Spielen wird das Ganze, wird das Dasein selbst in die menschliche Existenz „eingespielt“. Wo das Spiel dem Menschen gestohlen wird, wird ihm das Dasein, wird er sich selber gestohlen.

Das Spiel ist freilich doppeldeutig. Seine Gefahr: Spiel depraviert zum bloßen Spiel. Das Spiel soll reines Spiel sein, Spiel, das nicht durch Nebenabsichten und Deutungen entfremdet wird. Aber Spiel soll nicht als bloßes Spiel abgeschnitten werden vom Ernst des Daseins, nicht neben ihm herlaufen als eine im Ernst nichts sagende, nichts bedeutende Nebensächlichkeit, die bestenfalls zur Entspannung und Ertüchtigung dient und so gerade wieder funktionalisiert würde.

Spiel spielt das Ganze, spielt somit auch den Ernst des Daseins in mich hinein und mich in das Ganze, in den Ernst des Daseins hinaus. Diese Integrität und Integralität des Spiels befähigt nun aber das Kind, mit mehr vertraut zu werden als nur mit dem, was gemacht, geleistet, hergestellt werden kann. Im Spiel kann sich das Geheimnis des Daseins als Geheimnis eröffnen, im Spiel kann der Mensch vertraut werden mit dem, was ihn übersteigt und womit er doch sein Leben lang Mitspieler ist.

Dies ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern ein Geschick. Denn im Grunde wird jedem Kind das Ganze vorgespielt, wird ihm das Ganze, wird ihm das Geheimnis des Daseins eingespielt – und es kommt eben darauf an, als was das Ganze in diesem Zuspiel der kindlichen Erfahrung aufgeht und erscheint. Hier liegt die Verantwortung von Erziehung und Bildung. Menschliches Leben ist Stehen an der Grenze, an welcher ich mich auf den Sinn des Ganzen beziehe und ihn in mich einbeziehe, ihn Gestalt und Zeugnis werden lassend für andere. Leben ist also Mitspiel mit dem Sinn des Ganzen, und im Kind, in seiner spielenden Erfahrung bereitet sich die Position vor, die es einmal im Ernst seines Lebens beziehen wird.

Kinder sind Kinder, solange sie „unbrauchbar“ sind für die Zwecke des Daseins, und es ist eine Versuchung, ihr Kindsein zu verbrauchen im Interesse ihrer künftigen Brauchbarkeit. Ihre „Unbrauchbarkeit“ ist ihre Grenzsituation, ist ihre Offenheit für den transzendierenden Sinn. Hier treffen wir auf den Konvergenzpunkt zwischen der Situation des Kindes und jener des alten und des kranken Menschen. Auch hier also die Offenheit, die Befähigung zum Mehr, zum anderen [150] der machbaren Welt, auch hier andererseits die Gefahr, den Transzendenzbezug abzublenden und zu verfremden.

Im Blick auf die drei bislang skizzierten Lebenssituationen kann uns freilich noch ein weiteres auffallen: ihre elementare Nähe zur Grundbotschaft des Christlichen, zur Botschaft vom ganz den Menschen bejahenden, annehmenden, sich ihm gebenden, sich in sein Spiel einlassenden Gott.