Glauben – wie geht das?

Grundlegung: Gottes und des Menschen „Letzte Dinge“

Ist es nicht absurd, von Gottes „Letzten Dingen“ zu sprechen? Die Rede von Letzten Dingen hat doch wohl nur einen Sinn im Blick auf endliche und vergängliche Wesen. So plausibel dies klingt, so wenig wollen wir uns unbesehen damit zufrieden geben.

Gottes „Letzte Dinge“?

Dafür haben wir zwei Gründe. Einmal sind die Letzten Dinge des Menschen mehr als bloße Folge einer Endlichkeit, die entweder zu einem bösen oder zu einem guten Ende führt durch eine richtende oder rettende Maßnahme Gottes. In der christlichen Botschaft von den Letzten Dingen spielt Gott selbst und spielt die Gottebenbildlichkeit des Menschen inwendiger und grundlegender mit. Zum anderen unterläuft uns nur zu leicht ein falsches Verständnis von göttlicher Unendlichkeit. Um es banal zu sagen, wir stellen uns die Unendlichkeit Gottes vor nach dem Bild einer Geraden ohne Anfang und ohne Ende. Aber ist sie wirklich nur so? Ist sie wirklich nur ein Weglaufen von sich und nicht auch ein Zulaufen, hat Gott nicht in sich selbst sein Auf-zu?

Ja, Gott ist unendlich. Aber seine Lebensbewegung hat ein Ziel. Er ist ganz und gar Aufbruch, ohne Grenze. Aber dieser Aufbruch ist zugleich ein Zugehen, ist zugleich Ankunft. Gott kommt bei sich selber an, ist schon ewig bei sich selber angekommen – aber diese Ankunft bei sich ist nicht eine Rückkunft auf eine absolute Einsam- [189] keit, sondern Ankunft bei sich selbst als Ankunft beim Du. Reine „Selbstlosigkeit“ und reiner Selbstbesitz schließen in Gott einander nicht aus, sondern sind in ihm dasselbe. Weil der Vater aufbricht zum Sohn und der Sohn sich zuwendet zum Vater und weil beide einander die Frucht der einen und selben Liebe schenken, ihr eines, ganzes Ineinandersein, deswegen braucht Gott nicht über sich hinaus. Er wird nicht über sich hinausgetrieben, um sich in etwas anderem zu finden und zu verwirklichen.

Und zugleich kann Gott doch über sich hinaus. Er kann frei anderes seinlassen, die Schöpfung. Ja er kann sich selbst seiner Schöpfung frei mitteilen, ihr an seinem göttlichen Leben Anteil geben. Gott hat in sich sich selbst zum Ziel – in Gott hat jede göttliche Person ihr göttliches Du zum Ziel – Gott ist so gerade frei, über sich selbst hinauszugehen, seiner Liebe ein Ziel zu schaffen, dem er sich zu schenken vermag, ohne sich selbst, seine reine Vollendung in sich selbst zu schmälern oder zu gefährden. Freiheit über sich hinaus als Freiheit zu sich selbst, diese göttliche Freiheit ist begründet in seinem göttlichen Leben, das reine Selbstmitteilung, reines Weggehen von sich und Zugehen auf sich ist.

Gottes „Letzte Dinge“? In diesem Sinn also doch: ja; denn er ist sich der Erste und der Letzte, er begegnet sich in sich selbst, sein Aufbruch zu sich ist Aufbruch in die vollkommene, ebenso in sich geschlossene wie über sich hinaus offene dreifaltige Gemeinschaft.

Des Menschen „Letzte Dinge“

Und in der Tat, das ist die Grundlage auch für die Letzten Dinge des Menschen, dies ist der Anfang und das höchste Ziel jeglicher Eschatologie.

Wiederum aus zwei Gründen. Einmal weil der Mensch auf Gott zu geschaffen ist. Gott selbst setzt seine Herrschaft der Schöpfung zum Ziel, er selbst will dem Menschen zum „Letzten“ werden, zu jenem Licht und jenem Heil, in denen Mensch und Welt ewig leben. Gottes sich liebend mitteilender Selbstbesitz: daraufhin hat uns Gott geschaffen, dazu hat er uns berufen.

[190] Und das andere: Der Mensch ist erschaffen zum Ebenbild Gottes. Auch wir sind stets im Aufbruch über uns hinaus, auch wir gehen mit jedem Blick, mit jedem Gedanken, mit jedem Streben weiter, von uns weg – aber wir sind dabei immer auch uns selbst zugewandt, es geht uns um uns selbst, wir haben ein unendliches Interesse an uns selbst. Wir können gar nicht anders leben als so. Es „muß“ uns um uns, um unsere Erfüllung, um unseren Sinn, den Sinn des Ganzen gehen – Interesse am Sinn des Ganzen und am Sinn unseres eigenen Lebens lassen sich nicht voneinander scheiden –.

Doch wenn wir nur auf uns zurückkämen, blieben wir in jener erschreckenden Einsamkeit, die sich gerade nicht erfüllte. Ich bin so zu mir erschaffen, daß ich erschaffen bin für mein Anderes, für mein Du. Zuhöchst und zuletzt fürs unendliche, göttliche Du. Aber darin bin ich auch dem geschöpflichen Du erschlossen. Ich kann mich ihm schenken. Nur wenn der Mensch bereit ist, zuzugehen auf Gott und auf seinen Nächsten, findet er sich selbst. Gottes Bereitschaft, sich dem Menschen mitzuteilen und zu verschenken, „kann“ nur Erfüllung des Menschen werden, wenn der Mensch als freier Partner Gottes sich beschenken läßt. Das aber heißt: wenn er sich auf den Lebensrhythmus Gottes einläßt. Und das wiederum heißt: wenn er aufbricht auf Gott und auf den Nächsten zu, wenn er die Zielrichtung zu sich selbst versteht als Zielrichtung zum Anderen. So, nur so ist er, was er ist: Gottes Ebenbild. Dies gilt im Ansatz, weil der Mensch Mensch ist und als solcher offen für Gott. Es gilt umso mehr, weil der Mensch von Gott berufen ist zum gnadenhaften Anteil an seinem göttlichen, dreifaltigen Leben.

Die Gottesherrschaft ist dem Menschen nur Erfüllung und nicht Gericht, wenn er Gott sein Alles sein läßt. Weil Gott auf den Menschen zukommt, weil Gott dem Menschen sich mitteilt, findet menschliches Dasein Erfüllung. Wenn der Mensch aber sich von Gott und von den anderen abwendet, denen dieser Gott sich doch mit ihm zugleich zuwendet, dann tritt die Zuwendung Gottes zum Menschen in Konflikt mit dem Streben seines Ich. Das Beseligende wird zur Unseligkeit.

Hier wird der fundamentale Unterschied zwischen dem Men- [191] schen und Gott sichtbar. Der Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen. Aber gerade darum muß er sich an Gott als seinem Maßstab und seinem Urbild orientieren. Wenn er seine Freiheit nicht nach dem Bild Gottes gebraucht, wenn er ihr ein anderes Ziel und eine andere Richtung gibt als die Richtung auf Gott und die Richtung Gottes selbst, dann bleibt seine Freiheit, dann bleibt er selbst im Widerspruch zu sich selbst. Daß der Mensch Gottes Ebenbild ist, verschärft die Situation seiner Geschöpflichkeit. Gott ist und bleibt der Erste, der Mensch der Zweite.

Indem aber der Mensch daran Anstoß nimmt und probiert, sich selbst der Erste zu sein, „zu sein wie Gott“, ist er gerade nicht wie Gott. Der Mensch, der keine anderen „Letzten Dinge“ haben will als sich selbst, stößt an seine eigene Endlichkeit – sie wird ihm zum bitteren Ende. Und genau an diesem Punkt setzt sich, wenn auch für ihn negativ, seine Gottesbildlichkeit nochmals durch.

Der Mensch, der sich Gott und dem Anderen nicht öffnet, stößt an Gott und an den Anderen. Menschliche Freiheit kommt nicht umhin, Gott und den Anderen als ihr Ziel zu erfahren. Nur daß gegen die Weigerung der Freiheit eben Ziel sich als Ende erweist, und im Vorblick muß gesagt werden: als endloses Ende. Menschliche Freiheit verliert ihren unendlichen, aufs Unendliche ausgerichteten Charakter nicht.