Glauben – wie geht das?

Exemplarische Verdeutlichungen

Blicken wir jetzt auf den Vollzug, darauf, wie Nachfolge menschlich geht, wie es bei denen zugeht, die sich dem Nachfolgeruf öffnen. Daran können wir unser eigenes Glauben lernen, unseren eigenen Weg – und zugleich die Kommunion mit Jesus, das Hineinwachsen in sein Geheimnis, an dem uns die Nachfolge Anteil schenkt. Wir lassen uns in den Geschichten von Petrus beim reichen Fischfang, vom reichen Jüngling, in den Selbstzeugnissen des Paulus unsere eigene Geschichte vorerzählen.

Der reiche Fischfang (Lk 5,1–11)

Soll man sagen: Die bei Markus in ihre Spitze hinein konzentrierte Berufungsgeschichte wird hier in ein persönliches, menschliches Geschehen hinein entfaltet? Oder soll man sagen: Aus dem Rahmen, den der lapidare Markustext steckt, wird eine kostbare Einzelheit hervorgehoben? Jedenfalls wird der eine Schritt von Ruf und [40] Nachfolge in der Erzählung vom Fischfang des Petrus bei Lukas in ein Geflecht von fünf Schritten auseinandergelegt, die uns anschaulich machen: so geht Nachfolge.

Der erste Schritt ist der Schritt Jesu auf Petrus zu. Er begibt sich in die Welt des Petrus hinein, holt ihn dort ab, wo seine Erfahrungen und Interessen liegen. Er heißt ihn auf den See hinausfahren, um zu fangen.

Dieses „Abholen“ ist freilich eine Zumutung, es ist ein Hinausstoßen: Geh! So „menschlich“ es ist, daß Jesus an der konkreten Lebenssituation des Petrus anknüpft, so ungeheuerlich ist es, wie er dies tut. Petrus muß ihm sagen: Was du sagst, hat keinen Sinn, es spricht gegen meine Kenntnisse und meine Erfahrung – wir haben die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen. Jetzt hinauszustoßen auf den See, ist ein nutzloses Unterfangen. Das Wort, das Jesus sagt, steht im Mißverhältnis zu sämtlichen Erfahrungs- und Erwartungswerten, es verlangt nicht, was geht, sondern was nicht geht.

Aber Petrus tut den Schritt, tut ihn allein auf sein Wort hin, tut ihn, weil er es sagt. In dieser zweiten Phase löst sich ein, was es heißt: nicht von sich her, sondern von Gott, von seinem Wort her leben, umkehren und von ihm her einen neuen Anfang nehmen.

Verweilen wir einen Augenblick bei diesem Hinausfahren des Petrus auf den See. Jesu „Komm!“ heißt zuerst: „Geh!“ Jesus schafft nicht zuerst die Erfahrung der Geborgenheit, sondern die der Entscheidung, die des Ausgesetztseins, die des Anfangens vom Nullpunkt an, wenn einer sich auf ihn einläßt. Nachfolge ist radikales Sich-Verlassen auf ihn, sie ist zugleich aber das Gegenteil von Unselbständigkeit, sie stellt den Menschen neu und tiefer als zuvor auf sich selbst. Communio und missio, Gemeinschaft und Sendung, Geborgenheit und Weggeschicktwerden lassen sich von allem Anfang an nicht auseinanderreißen, sie sind zwei Seiten desselben.

Da draußen aber, in der Distanz zu Jesus, der am Ufer bleibt, erfährt Petrus das Überwältigende. Jesu Wort löst sich ein, wo wir in Gehorsam und Vertrauen ihm die Chance geben, etwas mit uns anzufangen und so seinen neuen, göttlichen Anfang zu wirken.

Der dritte Schritt ist die Rückkehr zu Jesus, die neue Begegnung [41] mit ihm. Dieser Schritt ist entscheidend, denn er bezieht das Geschehene auf Jesu Wort. Weil ich dir gefolgt bin, habe ich die Macht Gottes erfahren; weil ich mich auf dich eingelassen habe, hat sich mir die anbrechende Herrschaft Gottes bekundet. Auf der Seite des Glaubens, im Verdanken und Anerkennen, wird der Anspruch Jesu eingeholt: Er hat die Herrschaft Gottes angesagt und daraus die Konsequenz gezogen, daß er Nachfolge vom Hörer seines Rufes fordert. Und nun erfolgt die Gegenbewegung. Der Mensch läßt sich auf Jesus ein und erfährt darin, daß Jesu Anspruch durch Gott gedeckt ist, daß Jesu Anspruch in der Tat die Anwesenheit des handelnden, in die Geschichte eingreifenden Gottes ist: Bekenntnis, Zuerkennung der Titel göttlicher Macht und Hoheit an Jesus als die Kehrseite seiner Botschaft vom nahenden Gottesreich. Der Ort, wo beides sich berührt, ist die Nachfolge.

Dieser dritte Schritt entlädt freilich seine ungeheuerliche Spannung in einem vierten, der dann doch nicht stattfindet, der aber in der spontanen Antwort des Petrus sich anzeigt: „Geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch!“ Man ist erinnert an jene erschreckten Differenzerfahrungen in den Berufungsgeschichten der Propheten (z. B. Jes 6 und Jer 1). Wo der Heilige einbricht in unseren Lebensraum, wird die Unangemessenheit unseres eigenen Lebens, unserer eigenen Existenz, wird der von uns her nicht zu bestehende Abstand zwischen ihm und uns überdeutlich. Nicht wir können diesen Abstand ertragen, sondern er selbst muß ihn erträglich machen. Der Gott ganz nahe gegenüber kann nur „aufgefangen“ werden durch den Gott, der in uns wirkt, der in uns die Nähe Gottes aushält.

Das entscheidend Neue der Petrusgeschichte im Verhältnis zur Prophetenberufung: Der nicht zu ertragende Heilige, der schlechterdings Überragende und Überlegene ist nicht der Gott, der aus der Höhe offenbarend seinen Lichtstrahl und sein Wort ins Herz des Berufenen schleudert, sondern es ist einer, der auf demselben Boden gegenübersteht, von Mensch zu Mensch. Um es formal und abstrakt zu sagen, die absolute Differenzerfahrung findet in der Horizontalen statt.

Mit dem theologischen und christologischen Rang dieses vierten [42] Schrittes verbinden sich zwei unmittelbar uns und unseren Vollzug betreffende Konsequenzen. Zum einen: es ist damit nicht alles getan, daß Gottes Herrschaft in unser Leben eingreift und die Dinge, die wir nicht können, durch ihre Macht ergänzt und ersetzt. Wer sich wirklich auf Gott einläßt, wer wirklich seine helfende Macht und Nähe erfährt, sagt nicht: Es ist praktisch, daß es dich gibt, weil ich so leichter über die Runden komme! In der Hilfe überfällt ihn zugleich der Anspruch, einer anderen Dimension begegnet zu sein und sie tragen zu müssen. „Wer von euch kann wohnen mit dem fressenden Feuer? Wer von euch kann wohnen mit der ewigen Glut?“ (Jes 33,14).

Hiermit haben wir aber bereits das zweite berührt: unsere Situation, mit dem in Jesus nahen Gott „umgehen“ zu müssen. Geh weg von mir! So war es nicht nur Petrus zumute. In der beständigen Nähe seines übermächtigen Anspruchs zu leben, gar Bote und Mittler dieses Anspruchs zu sein, das „geht“ nicht. Die heute so oft artikulierte Erfahrung der Überforderung durch den Ruf, der Unzumutbarkeit dessen, was Gott verlangt und schenkt, für unser menschliches Vermögen – das ist nicht sentimentale Wehleidigkeit, sondern es ist Offenbarwerden der menschlich „unmöglichen“ Situation von Gottesherrschaft. Wenn nicht er, wenn nicht sein Geist in uns Gott bei uns, Gott mit uns, Gott unter uns aushält, dann bleibt nur der Rückzug.

Aber dieser Rückzug bleibt uns nicht. Denn – dies ist der fünfte Schritt – Jesus spricht zu Petrus wie zu uns sein erlösendes „Fürchte dich nicht!“ Wir sind angenommen, wir sind hineingenommen in die ganz göttliche und ganz menschliche Gemeinschaft mit dem nahen Gott. Dieses „Fürchte dich nicht!“ setzt den Petrus wieder ein in sein Leben und seine Erfahrung, doch ist solche Wiedereinsetzung zugleich totale Verwandlung. Petrus bleibt Fischer, aber er wird Menschenfischer. Er tut, was er tat, er tut es aber von Gott aus und für Gott, tut es in der neuen Dimension, die Jesu Kommen aufreißt und in der wir, ihm nachfolgend, mit ihm leben.

[43] Der reiche Jüngling (Mk 10,17–27)

Das Nachfolgegeschehen ist immer dasselbe und ist zugleich unabschließbar vielfältig. Wie man, auf verschiedenen Wegen durch dieselbe Landschaft wandernd, sie in je neuen Perspektiven sieht und trotzdem jedesmal nicht nur etwas von ihr, sondern in der einzelnen Perspektive das Ganze sieht, so ist es auch mit der Nachfolge. Die Erzählung vom reichen Jüngling nach Markus (vgl. die z. T. etwas anders gefärbten Parallelen Mt 19,16–30; Lk 18,18–30) zeigt uns die weithin selben Momente wie die Geschichte vom reichen Fischfang, und doch sind wir auf überraschend andere Weise hier vom selben Nachfolgeruf Jesu angegangen und herausgefordert.

Wir können das Geschehen wiederum in fünf Etappen und ein „Nachspiel“ gliedern. Die erste Etappe, sozusagen die Ausgangsbedingung, rückt die Begebenheit besonders dicht in unseren heutigen Erfahrungshorizont hinein. Der begüterte Mann, der sich Jesus naht, bringt zweierlei mit: das Interesse für ein ganzes, gültiges Leben, fürs „ewige“ Leben. Er möchte nicht nur vegetieren, möchte nicht nur haben, was man so hat und vielleicht noch einiges mehr – er möchte das, was bleibt, das, was Sinn und Erfüllung gibt. Und er spürt, dieses Gültige und Bleibende, dieses Leben, das wahrhaft Leben heißen darf, hat etwas zu tun mit der Gestalt Jesu. Er hat etwas zu sagen, er kann da weiterhelfen. Ganz einfach, er ist begeistert von diesem Jesus, und so redet er ihn an: „Guter Meister!“

Und nun – zweite Etappe – die schockierende Antwort Jesu. Sie scheint im genauen Gegensatz zu dem zu stehen, was wir bislang beobachtet haben. Wir sagten: Jesus zieht die Menschen, die er auf Gott hin orientiert, her zu sich selbst, bindet sie an seine Person. Hier tut er, scheinbar und fürs erste, das Gegenteil. Das Interesse am ewigen Leben läßt Jesus stehen, nicht aber die Anrede „Guter Meister“. Er lenkt die Begeisterung, die sich auf seine Person richtet, entschieden ab. Es geht nicht um ihn, sondern es geht um Gott. Wer in ihm eine faszinierende Persönlichkeit sieht, der hat ihn nicht verstanden. Nur der versteht ihn, der die einzige Leidenschaft und den einzigen Inhalt und die einzige Botschaft seines Lebens kennt: [44] Gott, er allein! Wir könnten, vermittelnd und aufs Ende blickend, zwar sagen, daß nur der Jesus findet, der ihn um Gottes willen, in der Blickrichtung auf Gott findet. Aber lassen wir, wie es auch unser Text tut, zunächst einmal diese Abweisung der „Huldigung“ an Jesus durch ihn einfach so stehen. In unserem Text geht Jesus unmittelbar, in dreifacher Steigerung, auf die Frage des Mannes ein, was er tun müsse auf dem Weg zu seinem Ziel, dem ewigen Leben.

Zunächst folgt wiederum – dritte Etappe – etwas Schockierendes. Dieser Mensch ist doch zu Jesus gekommen, um etwas anderes zu hören als das, was alle ihm auch sagen können – und genau, was man gängig sagt und was er auch selbst als frommer Jude wissen kann, ist für Jesus die Basis. „Halte die Gebote!“ Und um keine Zweifel zu lassen, zählt er sie auf, jene Gebote, die das Leben des bundestreuen Juden prägen.

Noch einmal scheint hier ein Widerspruch aufzuklaffen zu dem, was wir über Jesu Predigt von der Gottesherrschaft sagten. Bringt nicht er das ganz Neue, das Unerhörte? Ist seine Botschaft nicht die Umkehrung des Gewohnten? Gewiß, aber eine Umkehrung, die erfüllt, die das einlöst, was der Alte Bund vorbereitet. Wenn Gott kommt, wenn Gott einbricht, dann ist sein Wille nicht weniger wichtig, sondern wichtiger als zuvor. Und was Gott in seiner Zuwendung zum Menschen – die Antwort Jesu bezieht sich gerade auf die zweite Gebotetafel – als dessen Anwalt bereits beim Bundesschluß mit Mose von seinem Volk verlangte, das erhält nur neue und um so dringlichere Aktualität, wenn Gott nun diese Zuwendung vollendet, wenn er selbst hineintritt in die Geschichte, wenn er Zentrum unseres Lebens und unserer Welt werden will. Das Ja zum allein guten Gott und Gottes Ja zum Menschen, dies ist und bleibt das Grundwort eines Lebens aus dem Glauben, auch in der Ära der Gottesherrschaft und der Nachfolge. Für uns wichtig genug, dieses Normale und Alltägliche nicht zu übersehen. Den großen Willen Gottes tun, der uns zum Ungewohnten ruft, das ist kein Alibi für den kleinen, alltäglichen Willen Gottes jedem und dem Nächsten gegenüber. Gottes Wille ist unteilbar, und der unteilbare, eine Gott, der Gott des Ganzen ist der Gott der Predigt Jesu.

[45] Die Spannung, in der Jesu Antwort zur Anrede und Erwartung des Fragestellers bis jetzt stand, schlägt gerade an diesem Punkt um in Verstehen und Zustimmung. Von Jugend an hat sich dieser Mensch um den Weg der Gebote bemüht. Nun darf er erfahren, er ist auf demselben Weg wie Jesus, dem Weg des Vaters. Und so wagt Jesus das Mehr: „Eines fehlt dir noch!“

Dieses Eine legt sich nochmals in zwei Stufen auseinander. Zunächst, in einer vierten Etappe, geht es darum, alles zu verkaufen, sich freizumachen von allem, was ans Hier und Jetzt bindet und nicht an Gott allein. Es geht darum, den Schatz auf Erden zu verwandeln in den „Schatz im Himmel“. Denn wo der Schatz, dort ist das Herz (vgl. Mt 6,21; Lk 12,34). Um es in äußerster Schärfe zu sagen: Die Gottesherrschaft ist so ernst wie der Tod. Was wir im Tod nicht mitnehmen können, auf dem können wir auch angesichts der herannahenden Gottesherrschaft nicht bestehen. Wer Jesus begegnet, wer in das neue Leben eintritt, das er ansagt und bringt, der kann wirklich nur noch dieses eine Zentrum haben: Gott. Wenn Gottes Herrschaft kommt, dann stehen wir eben so vor Gott wie in unserer letzten Stunde. Freilich heißt es, aus diesem „Quell“, von ihm her, von ihm allein her weiterleben, das neue Leben Gottes leben. Sicherlich, es gibt verschiedene Gestalten, solche Armut zu realisieren, verschiedene Weisen, nichts zu haben oder so zu haben, als hätten wir nicht (vgl. 1 Kor 7,29–31). Jedenfalls ist es äußerst bedenkenswert, wie dicht die Botschaft von Gottesherrschaft und Nachfolge mit der Forderung der Armut im Evangelium verknüpft ist. Kein Weg führt daran vorbei, daß christliches Haben Haben von Gott her und Haben für die anderen heißt.

Wir selbst müssen immer wieder „Kassensturz“ halten und fragen, was wir zu verkaufen haben. Denken wir dabei nicht nur an bewegliche und unbewegliche Güter, sondern auch an Fertigkeiten, Meinungen, Geschmack, Beziehungen, Probleme, Sünden, Schwächen, die man gerne streichelt, Schwierigkeiten, die man hätschelt, weil sie einen zum „besonderen Fall“ stempeln. Und der „gute Meister“ hat es gewiß auf das am meisten abgesehen, was die heimliche, wenn auch noch so „harmlose“ Achse unserer Selbstliebe ist.

[46] An das „Verkaufe alles!“ schließt eine fünfte und letzte Etappe an: ein „Und dann!“ Hieronymus weist in seinem Matthäuskommentar einmal darauf hin, daß es nicht genügt, alles zu verkaufen, weil dies auch die Heiden tun können, die aus irgendeiner asketischen Lehre der Bedürfnislosigkeit sich aufs wesentliche beschränken und fürs Geistige reinigen. Das Neue, Einmalige, Unverwechselbare bei Jesus heißt: „Und folge mir!“ Freisein von ... ist zwar die Voraussetzung des Freiseins für ..., aber das Hergeben, das Nichthaben sind nicht Ziel, sondern Weg. Sein positiver Sinn ist die Gemeinschaft, die Verbindung mit Jesus, in dem Gott da ist und nah ist, in dem wir an Gottes Leben teilhaben.

Orientierung auf Gott allein zu, alltägliche Treue zum Willen Gottes, gerade auch dem Nächsten gegenüber, sich freimachen von allen Anhänglichkeiten, Besitztümern und Bindungen, das sind die Stufen des Weges in die Nachfolge hinein, ins Leben mit Jesus hinein. Dies ist die eine Seite des Stufenganges durch die Geschichte vom reichen Jüngling. Aber es gibt noch eine andere. Wir haben am Anfang die kritische Abweisung der Begeisterung für Jesus durch Jesus selbst festgestellt – und was daraus wächst, führt genau doch zur Nachfolge, zur konkreten Gemeinschaft mit diesem Jesus hin. Es kommt auf Gott allein, auf den Vater allein an – aber der Vater lebt und handelt konkret im Sohn. Wer Gemeinschaft haben will mit dem Vater, muß mit dem Sohn Gemeinschaft haben. Die Geschichte läuft zu auf Nachfolge als Einlösung der Gemeinschaft mit dem einzig Guten, mit Gott. Einmal mehr bewährt sich Nachfolge als christologisches Grunddatum.

Werfen wir noch einen knappen Blick auf die Nachgeschichte der Erzählung. Der reiche Jüngling ging traurig weg, weil er eben sehr reich war und das Gewicht seines Habens der sofortigen und ganzen Verfügbarkeit für die Stunde Gottes im Wege stand. Jesus betont im Nachgespräch mit den Jüngern die Lebensgefährlichkeit der Spannung zwischen Gottesherrschaft und Reichtum, und die Jünger werden traurig darüber, weil sie in solcher Spannung zwischen den konkreten Lebensverhältnissen und der Forderung Gottes kaum mehr einen Spielraum für die Rettung der Menschen entdek- [47] ken. Jesus nimmt nichts von der Härte seiner Forderung zurück – aber er reißt einen neuen Horizont auf: „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich“ (Mk 10,27).

Der Anbruch der Gottesherrschaft und der Ruf der Nachfolge bringen in der Tat den Menschen in eine „unmögliche“ Situation – aber die Unmöglichkeit dieser Situation ist Kennzeichen für die Stunde Gottes, bei dem nicht nur die Forderung, sondern auch die Erfüllung, nicht nur der Anfang, sondern auch die Vollendung liegt. Dies ist freilich die Spitze der Armut: mir auch mein Armseinkönnen von ihm, von seiner Gnade schenken lassen.

Fassen wir das Ganze unter der Perspektive des „Verkaufens“, der Armut zusammen, so verlangt Nachfolge: Ich muß zunächst verkaufen, etwas Besonderes zu wollen und zu vollbringen und muß mich auf die Basis des ganz Allgemeinen und Normalen stellen: tu die Gebote. Sodann muß ich verkaufen, woran ich hänge, was ich für mich persönlich reserviert habe, worauf ich glaube, einen Anspruch zu haben. Weiter muß ich auch noch meine eigene Freiheit verkaufen, die ich doch dadurch unter Beweis stellte, daß ich mich von allem löste, woran ich hänge – ich muß diese Freiheit verkaufen in die Gemeinschaft mit einem anderen, in die Abhängigkeit von einem anderen, in die Nachfolge, die meine Freiheit an die Freiheit des Herrn bindet. Und schließlich muß ich verkaufen, ihm nachfolgen zu „können“, es selber zu schaffen, und muß mir alles schenken lassen von ihm. So erst bin ich jenes Nichts, in dem Gott als Alles aufgehen kann – und stehe zugleich schon jetzt in der grenzenlosen Freiheit Gottes, im Leben Gottes, im Anfang des ewigen Lebens.

Nachfolge bei Paulus

Reicher Fischfang und reicher Jüngling, diese beiden Erzählungen sprechen von Nachfolge aus der unmittelbaren vorösterlichen Situation der Predigt Jesu. Derselbe Weg markiert aber auch die Lebensstruktur eines Paulus, der auf den ganz persönlichen Anruf Jesu [48] hin sein Leben neu begonnen, es zum Leben mit Jesus und für Jesus „umgekehrt“ hat. Freilich ist die Nachfolge des Paulus nachösterlich, Kreuz und Auferstehung eröffnen bei ihm eine neue, vertiefende Dimension von Nachfolge.

Einen der unmittelbarsten Texte hierzu finden wir im Philipperbrief (3,7–14). Beschränken wir uns auf jene Momente, die sich auch schon vorösterlich eröffnen. „Was mir ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen als Verlust erkannt. Ja ich sehe sogar alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn alles übertrifft. Seinetwegen habe ich das alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein. Nicht meine eigene Gerechtigkeit suche ich, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott kraft des Glaubens schenkt ... Ich vergesse, was hinter mir liegt und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist.“

Reicher Jüngling auf paulinisch! Alles, was in seiner bisherigen Welt Wert hatte, was als Verdienst und Leistung galt, was ihm Grund und Zuversicht war, vor Gott zu bestehen, das zählt nun nicht mehr. Auch und gerade nicht die eigene Frömmigkeit, das gute Gewissen, das Menschenmögliche getan zu haben, um Gottes Willen zu erfüllen. Die einzige Basis, der einzige Grund des Vertrauens liegt nicht mehr in ihm, sondern allein in Jesus Christus. Er ist die absolute Voraussetzung seines Daseins geworden – und zugleich sein einziges Ziel, das den Rhythmus jedes Augenblickes, jedes Wegschrittes bestimmt.

Dies heißt konkret – um die fundamentale österliche Dimension nun doch einzubeziehen: die Liebe Gottes, der sich selbst in der Hingabe Jesu ihm geschenkt hat, der sein Leben und Sterben im Tod am Kreuz ausgelitten hat, ist das einzige Woher seines Lebens und die Auferstehung Jesu ist das einzige Wohin seines Lebens. Auf die schärfste Formel bringt das der Galaterbrief: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; so lebe nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2, 19f.).

[49] Die Grunddimensionen der Nachfolge

Wer die knapp angeleuchteten Texte und noch so viele andere des Neuen Testaments liest, der tritt ein in eine konkrete Gemeinschaft mit solchen, die Nachfolge gewagt haben oder sich doch zur Nachfolge herausgefordert fanden. Nur in solcher Gemeinschaft mit anderen, die nachfolgen, geht auch die eigene Nachfolge, geht ihr Weg. Vielleicht ist es jedoch nützlich, nochmals die Scheinwerfer bewußt umzustellen auf unser eigenes Dasein und aus den beobachteten Grundzügen des Evangeliums einige Signale zu gewinnen für uns, damit bei uns Nachfolge und in der Nachfolge der Glaube gehe.

a) Entscheidung für Gott, für seine Herrschaft heißt Entscheidung dafür, daß ich mein Leben mit Jesus, dem Lebendigen, lebe. Mein konkretes Lebensschicksal muß von Jesus geprägt werden, dann, nur dann ist es ein Leben mit Gott. Es gibt für uns keine andere „Religiosität“ als die der Jesusnachfolge.

b) Das Grundwort der Berufungsgeschichte bei Markus (1,18) heißt „sofort“. Nachfolge geschieht nicht im Großen und Ganzen, wenn sie nicht im Einzelnen und Jeweiligen geschieht. Das Jetzt, dieser eine, gegenwärtige Augenblick ist der Punkt, an dem mir der Ruf Jesu begegnet. Im Jetzt allein lebe ich, im Jetzt allein kann ich Nachfolge leben. Sooft stehlen wir uns vor der konkreten Anforderung des Evangeliums davon, indem wir uns sagen: So einfach ist das mit dem Willen Gottes doch nicht. Woher sollen wir wirklich wissen, was Gott will? Eines aber wissen wir: im Jetzt, in diesem Augenblick gilt es, sich über den Rand der eigenen Angst und Anhänglichkeit hinauszuwagen und seiner größeren Zuversicht, seiner größeren Freiheit, seiner größeren Treue, seiner größeren Liebe anzuvertrauen. Das zögernde Festhalten dessen, was war, das Nichtfertigwerden mit dem, was gewesen ist, und ebenso die Ausflucht ins Planen und Träumen und in die Angst vor morgen sind Ausflucht vor dem Jetzt, in dem Gott mich in Jesus ruft. Das Heute Gottes ist nicht irgendwann, sondern heute. Jetzt will Jesus nicht, daß ich über diesen andern urteile. Jetzt will er, daß ich mich nicht selbst damit ent- [50] schuldige, diese Nachgiebigkeit gegen meine Schwäche sei nicht so tragisch. Jetzt will er nicht, daß ich mich auf mein Recht berufe, abzuschalten und keine Zeit zu haben für den Nächsten, den er mir schickt. Jetzt will Jesus, daß ich mein Ja sage zu ihm, dort wo er mir begegnet, so wie er mir begegnet. Jetzt soll ich leben, wie er an meiner Stelle leben würde, nein, wie er an meiner Stelle lebt.

c) Aber wie erkenne ich seinen Augenblick? Wie kann ich so in der Gemeinschaft mit ihm leben, daß sie wahrhaft der Raum, die Kraft und das Licht meines Lebens wird? Erinnern wir uns an Petrus: Auf dein Wort hin! Nachfolge heißt leben auf Jesu Wort hin und deswegen leben mit Jesu Wort. Gottes Wort muß uns wirklich das Leitseil unseres Weges werden, an dem wir uns Tag für Tag entlangtasten. Es muß das Alphabet werden, mit dem wir unser Leben und seine Situationen durchbuchstabieren. Uns ist dieses Wort gesagt, in unserem Leben will es neu Fleisch werden.

d) „Wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt!“ (Mk 10,28). Dieses Wort „alles verlassen!“ muß uns immer neu im Ohr klingen. Es ist nicht ein für allemal abzugelten, sondern muß immer neu getan werden. Wir dürfen aber nicht nur das Wort „verlassen“ hören, sondern müssen das andere mitbedenken: „alles“. Es gibt keine bloß partielle und keine bloß regionale und keine bloß kategoriale oder territoriale Nachfolge Christi, sondern nur die totale Nachfolge. Wo wir einen Bezirk aussparen, den wir Gott nicht öffnen, den wir in den Lebensrhythmus der Nachfolge Jesu nicht hineingeben, da ist Gott nicht unser Gott, da sind wir nicht auf dem Weg, da ist das bewegende oder gerade nicht bewegende Zentrum unserer Welt nicht er, sondern unser Wille, unser Mögen und Meinen.

e) Jesus nachlaufen heißt über ihn hinauslaufen, seinen Weg weiterlaufen in die Welt, heißt sich senden lassen. Wer Jesus nachfolgt, den nimmt er in die Dynamik seines Lebens mit hinein. Jeder wird auf seine Weise „Menschenfischer“, jeder Zeuge und Bote.

Entscheidung für Gott ist Entscheidung für Jesus. Leben mit ihm ist Leben im Augenblick; es gibt einen konkreten Willen Gottes für jeden Augenblick. Dieses Leben im Augenblick ist Leben auf sein [51] Wort hin, ein Leben, Millimeter für Millimeter aus seinem Wort gestaltet. Es ist ein Leben, das alles aufs Spiel, auf Jesu Spiel setzt. Es ist ein Leben in der beständigen Gemeinschaft mit Jesus und deswegen im beständigen Weitergehen und Weitertragen seines Weges in die Welt. So geht Nachfolge.

Und wenn wir in der Nachfolge gehen, dann gehen wir im Rhythmus des Lebens Jesu selbst, dann wachsen wir hinein in sein Geheimnis. Jesus ist die lebendige Nähe Gottes. Wer ihn sieht, sieht den Vater, wer mit ihm lebt, lebt mit dem Vater (Joh 14,9). Jesus ist die Zeit Gottes, der Augenblick Gottes, dieses Jetzt, in dem er Gegenwart, neue, ewige Gegenwart, unser Licht und unser Tempel wird (vgl. Offb 21,22f.). Jesus ist das Wort Gottes, in dem er sich und alles uns sagt (vgl. Joh 1 und 15,15). Jesus ist das Ganze, er ist Alles – denn alles hat er in sich hineingenommen, alles in seinem Leben und Sterben zum Vater hingetragen, in allem kann er uns begegnen. Und er ist nicht nur das Woher unseres Weges, jener, dem wir folgen und von dem her wir gesendet sind, sondern er ist auch das Wohin unserer Sendung: in allen und allem sollen wir ihn entdecken und freilegen, er ist Anfang und Ende, er ist der Kommende, auf den alle Linien unseres Lebens und der Welt zulaufen. Die Dimensionen der Nachfolge sind Dimensionen des Geheimnisses Jesu selbst. Dieses Geheimnis Jesu deutet sich an in der Verknüpfung des Nachfolgerufes mit der Botschaft vom anbrechenden Gottesreich, im Zeugnis der Vollmacht Jesu, die beides – die Botschaft und den Ruf – trägt. Kreuz und Ostern sind die Einlösung dieses Anspruchs und in ihnen wird der Geist frei, der Jesu Geheimnis dem eröffnet, der sich auf den Weg der Nachfolge begibt.