Der Religionsunterricht als Vermittlungsgeschehen

Die Schüler aushalten*

Wie sieht das aus? Ich möchte aus diesem Aushalten eine Perspektive der ausgehaltenen Ratlosigkeit entwickeln. Ich glaube, das Wichtigste ist, daß wir die Schüler aushalten. Religionsunterricht besteht darin, daß Schüler ausgehalten werden. Das ist die Vermittlung des- [380] sen, was Gott tut. Im „Aushalten“ allein geschieht „Zusammenhalten“ – „Korrelieren“. Und nur in solchem Zusammenhalten [kann konzentriert werden], kann auf eine einheitsstiftende Mitte hin, die nicht konstruiert wird, etwas sichtbar werden. Ich bin plötzlich wieder der eine, weil ich dieses Viele aushalte. Aber ich kann's nicht, wenn ich nicht weiß, daß ich ausgehalten bin. Das ist mein Glaube. Glauben Sie ganz einfach an den, der Sie aushält. Dieses Aushalten, Zusammenhalten, Konzentrieren kann vielleicht noch einen anderen Namen haben. Ich möchte sagen: Gott interessiert sich für dich. Wir waren ja Sünder. Wir hatten gar nichts mit ihm zu tun, und trotzdem stirbt er für uns. Warum interessiert der sich so für mich? Das ist die entscheidende Frage. Gott interessiert sich grundlos für mich. Dieses Interesse Gottes, das sozusagen die Feder seines Aushaltens ist, dieses einfache grundlose „Mich-wagen-für-dich“, das ist Religionsunterricht. Notwendig ist, daß wir immer wieder darum ringen, daß wir Gott glauben, daß er sich für mich interessiert, daß Gott sich für diese Menschen interessiert und daß wir dann wagen, uns auch für sie zu interessieren. Das ist sozusagen das Vorspiel im Himmel. Und dann könnte es ja der Fall sein, daß sich ein Spiel des Interesses ergibt, daß es Augenblicke gibt, in denen ich sagen kann, oder Situationen, in denen wir dem Schüler vermitteln können: „Interessiere dich für dich“.

Das erste, was wir im Religionsunterricht zu vermitteln haben auf dieser Basis, ist: „Interessiere dich für dich. Leb' doch dein Leben nicht einfach so weg“. Und wenn der Schüler sagt: „Das ist Quatsch“, vielleicht bleibt doch etwas hängen, vielleicht erwacht sein Interesse für sich. Ich denke, daß die Heiligtümer Jugendlicher1 ein Stück erwachtes Interesse für sich belegen, erwachtes Interesse für die Heiligkeit des eigenen „Ich“ und damit für den, der uns dieses „Ich“ zugewiesen hat. Dann könnte vielleicht eine zweite Realität darin geschehen: „Interessiere dich für die anderen“. Es ist einfach ein anderes Lebenskonzept, sich für andere zu interessieren, und vielleicht kommt etwas heraus, aus ganz konkreten Begegnungen zum Beispiel, das dann existentiell etwas mit diesem Aushalten Gottes des anderen zu tun hat. Vielleicht kommt als ein Drittes da- [381] zu, daß dann auch ein Blick über die eigene Lebenswelt ins Ganze hinein geschieht und daß dann Solidaritäten und Offenheiten für die einswerdende Welt da sind. Und schließlich: Vielleicht interessiert ihr euch füreinander: eine Gegenseitigkeit von Interesse.

Und darin könnte aufscheinen, daß in solchem Interessieren und Aushalten der da ist und licht und hell wird, der uns ausgehalten hat.


  1. (Anm. d. Bearb.) Vgl. „Das ist mir heilig“ – „Du bist uns heilig“ – Zur Aachener Heiligtumsfahrt 1993 gab es ein ähnliches Unternehmen wie 1986. ↩︎