Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

Der Platz des Priesters

Es ist eindeutig: Wenn vom Platz des Priesters die Rede ist, dann kann gemäß dem Evangelium nur der „letzte Platz“ in Frage kommen (vgl. Lk 14,10). Die Frage bleibt freilich, wo dieser letzte Platz ist. Unsere Besinnung soll uns dabei helfen, ihn aufzuspüren. Der Weg, den wir dahin einschlagen wollen, folgt jedoch nicht unmittelbar einer naheliegenden Vermutung. Man spricht zu Recht davon, daß der Priester seinen Platz sowohl in der Gemeinde wie der Gemeinde gegenüber habe (vgl. Dokument der römischen Bischofssynode 1971 über den priesterlichen Dienst, 7). Die Frage nach dem Platz, nach der Ortsbestimmung des Priesters erwächst hier aber aus einer anderen Orientierung als jener auf die ekklesiologische Einordnung des Priesters. Eine Erfahrung steht dahinter: Nicht selten fühlen wir uns als Priester – und Bischöfen geht es da keineswegs anders – ortlos, hin und her geschoben, es fehlt der Atem, um irgendwo zur Ruhe zu kommen, und so fragen wir uns: Wo haben wir unsere Wurzeln, wo sind wir beheimatet? Es war schon bei Paulus so, und seine bewegende Auskunft in den beiden Korintherbriefen (vgl. 1 Kor 4,9–14; 2 Kor 4,8–12) sagt es uns ein ganzes Stück konkreter, wo der letzte Platz ist. Er ist am Kreuz, er ist es auch für uns. Und doch sollen wir uns nicht vorschnell mit der Antwort begnügen, daß unser [14] Platz das Kreuz ist. Es geht nämlich hier nicht nur um eine geistliche Hilfe, damit wir durchhalten und überleben können; es geht darum, wohin von innen her der priesterliche Dienst uns weist und stellt. Wie kann ich meinen priesterlichen Dienst so verstehen, daß ich Orientierung, Struktur, Spielraum der Annahme und Gestaltung in meinen Aufgaben erhalte?

Verschiedene Ansätze des Priesterbildes

Können wir indessen so unbefangen nach dem Standort des Priesters, nach dem Platz fragen, von dem aus er sein theo-logisches und geistliches Gleichgewicht gewinnt? Es gibt zu Recht unterschiedliche Priesterbilder, verschiedene Ansätze, um das Ganze des Priesterseins in Sicht zu bekommen. Und es wäre Verlust und Enge, dies einebnen zu wollen. Deutung ist immer kleiner als die Wirklichkeit, Verständnis bleibt immer hinter dem zurück, was sich ihm zu verstehen gibt, und aus diesem Überschuß der Wirklichkeit über unser Verfügen und Fassen leben wir. Lenken wir nun den Blick auf einige Priesterbilder, will sagen auf ihre Schwerpunkte und Ansätze. Knappe Andeutungen müssen genügen, und solche Schematisierung ist gerade wegen ihrer Überschärfe ungenau. Zunächst ist da der Ansatz bei der Verkündigung zu nennen. Der Priester versteht sich als Zeuge, er lebt aus dem Wort Gottes, es geht ihm um die authentische und zugleich dem Menschen und der Zeit gemäße Vermittlung der Frohen Botschaft im Wort und im Leben. Auch Liturgie und Diakonie werden vom Wort, von der „martyria“, her verstanden. Daneben steht ein sakramental und kultisch geprägtes Priesterbild. Mitte des priesterlichen Dienstes ist der Altar, [15] formgebendes Prinzip die Eucharistie, Grund die sakramentale Verbundenheit mit dem lebendigen Christus im Ordo. Pastoral ist Vermittlung der alle menschlichen Bemühungen überragenden Heilswirksamkeit Christi zumal in den Sakramenten, auf die hin und von der her Verkündigung und Bruderdienst geschehen. Des weiteren ist zu sprechen von einem Ansatz des Priesterbildes bei der Diakonie, beim Christus, der allen alles werden wollte, der den Jüngern die Füße wusch, der ganz einfach Gottes Nähe zu den Menschen lebt. Aus der Kraft dieser dienenden Nähe Jesu zu den Menschen und in einer an ihr orientierten Lebensgestalt haben auch Wort und Sakramente ihren Stellenwert als Ausdruck und Vollendung, aber auch als Anstoß und Stärkung dienender Liebe. Diese Ansätze bei den drei Grunddiensten sind gültige Prägungen priesterlicher Existenz, wobei vom je im Vordergrund stehenden Grunddienst aus die anderen unverkürzt und in ihrem Eigenwert mit umfaßt werden müssen. Stellen wir dieser Trias eine zweite gegenüber. Das erste Stichwort heißt hier: der Priester als Spiritual, als geistlicher Mensch, der motiviert, inspiriert, begleitet aus der Tiefe des Gebets, das für ihn in der Mitte steht. Für die Menschen bestellt, um vor Gott dazusein, eingetaucht ins Geheimnis, aber aus diesem Geheimnis den Menschen zugewandt und Gottes Heilswort und Heilshandeln zuwendend: so erscheint hier der Priester. Ein anderes Stichwort heißt: communio, Gemeinschaft. Kirche als communio, als Raum des Friedens Christi, in welchem Menschen miteinander versöhnt sind und er selber in der Mitte lebt, Priester als Ferment der Einheit, Gemeinde formend und selbst in der Gemeinschaft des Presbyteriums verankert. Wort, Sakrament und Bruderdienst dienen dem Aufbau der Gemeinde und vollenden diesen Aufbau, bezeugen die geistliche Fruchtbarkeit der Gemeinschaft. [16] Schließlich ein letztes Stichwort: missio. Herauswachsend aus der Sendung Jesu, von ihm und nicht von sich her lebend, ist der Priester zugleich missionarisch nach außen gewandt, teilt er die Leidenschaft Jesu, daß alle zum Glauben kommen, daß die Welt mit dem Sauerteig des Evangeliums durchdrungen wird und daß alle in der Kraft von Wort, Sakrament und Bruderdienst zu missionarischem Zeugnis befähigt werden. Es ist deutlich: Die sechs genannten Ansätze eröffnen Wege ins Ganze priesterlicher Existenz und priesterlichen Dienstes. Sie markieren Plätze, auf denen der Priester stehen und standhalten kann. Sie sind, in ihre Konsequenz hinein durchgedacht, auch lauter „letzte“ Plätze: Wer sich ganz dem Wort verschreibt, wird vom Wort verzehrt, gerichtet, kann es nicht selbstherrlich als Keule gegen andere schwingen, sondern brennt vom Wort und wird von ihm verbrannt. Wer in der Eucharistie und in der Weihe die Quelle seiner Existenz weiß, der verschwindet in den Herrn hinein, der ihn sendet, und in das Brot hinein, in dem er sich gibt. Wer sich von der Fußwaschung des dienenden Christus her versteht, der muß sich selber auf den Boden bücken und Jesu Perspektive von unten her teilen. Wer wahrhaft geistlich ist, der wird in stellvertretendem Dasein hineingehalten in die Nacht Gottes und in die Abgründe derer, für die er einsteht und da ist. Wer als Diener der Einheit sich der Communio übereignet, der wird zerrieben und zerrissen in den Spannungen, der steht am Kreuz. Und wer aus der Sendung lebt, der wird von ihr verbraucht, der wird zum Nichts, durch das nur der Sendende durchscheint, und nochmals zum Nichts, indem er sich bis an den Rand begibt, um bei den Letzten und Fernsten zu sein, denen es die Liebe des Herrn zu bringen gilt. Noch einmal: Alle sechs Ansätze sind sinnvoll und möglich. Alle bewähren sich, indem sie die anderen mit in sich aufnehmen, zu den anderen hinfuhren. Aber wie gehören von [17] innen her diese verschiedenen Ansätze zusammen? Kann es uns nicht geschehen, daß wir sozusagen zwischen ihnen „wandern“, sie alle auf ihre Weise bejahen, aber persönlich dennoch ortlos bleiben? Ich selbst muß jedenfalls bekennen, daß ich meinen „letzten Platz“ erst im Weitergehen fand, in diesem Weitergehen aber auch neu den Zusammenhang der genannten Ansätze fand.

Der Standort im „absoluten Zwischen“

Ich möchte, was durchaus theologisch zu erschließen wäre, zunächst einfach als konkreten Weg des Glaubens erzählen. Was mich zutiefst meinen Platz suchen ließ, was mir zuinnerst die Frage nach meinem Standort aufriß, das war gar nicht nur mein Priestersein oder Bischofsein. Es war die vielfältige Bedrängnis, die mich in diesem Priestersein und Bischofsein überkam. Ich glaube, daß es vielen von uns ausdrücklich oder unterschwellig ähnlich ergeht. Die erste Bedrängnis – Reihenfolgen verändern sich oder sind je nach Eigenart des einzelnen anders – ist die Fülle der auf einen einstürmenden Schicksale, Erfahrungen, Fragen, Erwartungen. Besser: die Fülle der Menschen mit ihrem je eigenen Antlitz, ihrer je eigenen Schwerkraft, ihrem je fordernden und suchenden Warum. Ich kann mich nicht gegen sie abschotten, ich darf und will es nicht. Aber ich kann auch nicht selber der Punkt sein, in dem sich alle begegnen, alle angenommen sind. Und doch geht es darum. Ich suche den Punkt der Einheit, der nichts nivelliert, nicht einen Formelkompromiß, sondern den Ort, wo alles es selber sein darf, wo alle sie selber sein dürfen, als sie selber angenommen, aufgehoben, getragen sind. Wie kann ich diesem Ansturm gegenüber bestehen? [18] Die zweite Bedrängnis: stehen vor Gott, hineingehalten sein in sein Geheimnis, seine Nähe verkosten und dann wieder hineingestoßen werden in die so offenkundige Ferne von ihm um mich herum und in mir selbst. Gottes Größe und Ferne, seine ganze Last erfahren und dann wieder vor den anderen stehen, um ihnen von diesem Gott zu sprechen. Die ungeheure Liebe dieses Gottes erfahren und nicht wissen, wie sie weitergeben. Den heiligen Willen dieses Gottes deutlich sehen und nicht den Weg finden, das Ja für diesen Willen bei den anderen zu wecken und zu stützen. Wo kann ich, mitten in die so unterschiedlichen Erfahrungen und Nichterfahrungen dieses Gottes eingetaucht, die um mich sind und in mich hineinreichen, ihn bestehen und für ihn Zeuge sein? Dritte Bedrängnis: dazwischen sein, ausgespannt zwischen vielen, am Kreuzpunkt zwischen den „Schwachen“ und „Starken“ von heute (vgl. Röm 14; 15,1), zwischen den „Juden“ und „Griechen“ von heute (vgl. Eph 2,14), Ferment der Einheit und der Versöhnung sein sollen und wollen und oft den Punkt nicht finden, wo diese Einheit in Wahrheit und Liebe gelingt: Einheit der Menschheit, Einheit der Christen, Einheit in der Kirche, in der Gemeinde, zwischen den Mitarbeitern, zwischen den Nächsten. Vierte Bedrängnis: ich selbst. Wie soll ich selbst „derselbe“ sein und bleiben, hineingehalten in diese Spannung, in dieses vielfache Gegenüber, in dieses „totale Zwischen“? Wer bin ich, je aus mir selbst herausgezogen in die so unterschiedlichen Begegnungen, ja Konfrontationen? Es fällt nicht schwer, aus den Briefen des Paulus alle vier Bedrängnisse einzulösen in seinem eigenen Dienen und Erfahren (vgl. 2 Kor 11,28f; 12,7–10; 1 Kor 9,19–23; 2 Kor 4,7–9). Die Ausrede auf die Unzumutbarkeit einer solchen Situation zählt nicht. Nicht eine äußere Forderung, sondern das innere Wahmehmen – und wie könnten wir ihm entrinnen? – nimmt uns bereits in Pflicht. Diese Situation aus uns selber [19] bestehen und lösen wollen, dies freilich wäre Selbstüberforderung, ja Anmaßung – und es wäre jener „Klerikalismus“, in dem wir uns als die Alleinveranstalter und Alleinverantwortlichen des Heils der anderen und der Kirche aufspielten. Die Situation annehmen – und sie zugleich abgeben müssen, das ist gefordert. Aber abgeben wohin? Wo ist diese vierfache Hedrängnis aufgehoben und ausgehalten? Wo wird das, absolute Zwischen“ zum Ort, zum Platz? Daß es ein letzter Platz ist, daran besteht, wenn wir die Wirklichkeit ernst nehmen, kein Zweifel mehr. Bonaventura hat einmal dieses „absolute Zwischen“ als die „Mitte im Unten“ beschrieben. In seinem „Hexaemeron“ markiert er den gekreuzigten Christus als den mittleren unteren Punkt, in dem alle Linien unserer Welt zusammenlaufen, als den, auf den alles zusammenstürzt und der so gerade alles zusammenhält. Als die äußerste Tiefe ist er die Mitte des neuen Raumes. In ihm geschieht letzter Platz, Mitte, Zusammenhalt, Gefüge (vgl. Hexaemeron 1,21–24). Das „absolute Zwischen“, das ist der ortlose Ort, an den wir gewiesen sind, es ist die nicht in die Zukunft projizierende, sondern die in der Gegenwart zu bestehende, überwirkliche Utopie. Und sie ist eingeholt, sie ist verwirklicht, gebunden, gehalten im Gekreuzigten.

Die neue Räumlichkeit aus dem Kreuz

Es ist für mich die immer neue Überraschung und zugleich die tragende Mitte des Glaubens, aber auch meiner Existenz, aber auch meines Priesterseins und des Priesterseins überhaupt, daß es diesen untersten Punkt, dieses „absolute Zwischen“ gibt. In seinem Schrei der Gottverlassenheit, in seiner Auslieferung vom Vater an die Gottferne der Welt und in seiner Hingabe aus der Gottferne der Welt an den Vater, in [20] seinem Getrenntsein von allen, das alle in sich selbst zusammenhält: Hier ist Versöhnung, hier ist alles zugleich gegenwärtig. Hier ist die Welt ganz da. Hier ist Gott ganz da. Hier sind alle und ist alles gleichzeitig und vereint. Hier bin ich selber angenommen, ausgehalten, verwandelt, erlöst. Dieser Punkt des „absoluten Zwischen“ ist freilich ein dynamischer Punkt, und dies in doppelter Hinsicht. Zum einen ist in diesem Punkt alle Trennung, alle Spannung gegenwärtig als – vergangen. Und solche Gegenwart des Vergangenen ist damit Überschritt in Gottes neue Zukunft. Der Punkt der göttlichen Gottverlassenheit ist der Punkt des Pascha, des Übergangs, ist der Durchbruch, der im Kreuz zu Ostern hin, zur Auferweckung hin geschieht. Der in der Mitte zwischen Gott und Menschen, zwischen dir und mir und allen Getrennten und Isolierten hängt, er tritt österlich als der Lebendige in die Mitte derer, die an ihn glauben, durch verschlossene Türen hindurch (vgl. Joh 20,19); dort hebt er an, die neue, ewige Mitte der erlösten Welt zu sein. Zum andern aber eröffnen sich in diesem zweifach-einen Punkt der Gottverlassenheit und der österlichen Gegenwart Jesu drei Dimensionen, die den neuen Raum strukturieren. In Ihm geschieht der Durchbruch zur Welt, es eröffnet sich die Richtung der Entäußerung, der Weggabe ins Außen und Unten. Ferne wird zur Nähe. Zugleich eröffnet sich in diesem Punkt der äußersten Ferne von Gott die Nähe zum Vater, der Aufstieg zum Vater, die Hinwendung zum Vater. Schließlich geschieht in diesem Punkt Einung, Heilung, Kommunion des Getrennten. Nicht nur das Außen und Unten, nicht nur das Oben und Innen, sondern auch das Miteinander und Ineinander, die Verbindung, der Bund geschehen. Die vier Bedrängnisse werden keineswegs harmlos, sie sind nicht „halb so schlimm“; aber wer in ihnen die Bedrängnis [21] des von Gott verlassenen Sohnes Gottes erkennt und annimmt, wer in ihnen an seinen österlichen Durchbruch glaubt, in dem vermag jener dazusein und auszuhalten, dessen Kraft sich in der Schwäche vollendet (vgl. 2 Kor 12,9).

Standort des Priesters?

Im Übergang vom Kreuz zur Auferstehung, im Kreuzungspunkt zwischen dem Abstieg in die Entäußerung an die Welt und dem Aufstieg in die Einung mit Gott und die Verbindung des Getrennten und Isolierten in der Mitte, da hat ganz einfach der Glaube seinen Standort. Dieser Standort ist nichts Unterscheidendes für den Priester. Oder ist vielleicht gerade in diesem Gemeinsamen, Verbindenden der Platz für den Priester signalisiert? Er ist einer, der zuallererst sich erlösen lassen muß. Er ist einer, der selber der Versöhnung bedarf. Er ist einer unter den anderen. Er ist angewiesen auf den Geist, den der am Kreuz Verlassene und Sterbende aus seiner Wunde hervorsprudeln läßt, um uns als Kinder mit dem Vater zu versöhnen, als Gabe an die Welt auszuteilen, als Glieder eines Leibes miteinander zu verbinden. Der Priester hat mit allen Erlösten den Platz gemein: Sein Standort ist der gekreuzigte und auferstandene Christus, in der dreifachen Blickrichtung hinaus in die Welt, hin zum Vater, hinein in die Gemeinschaft. Mit Christus im Geist der Hingabe sich der Welt zuzuwenden, in Christus durch den Geist mit den anderen eins zu werden: das ist sein Leben. Diese drei Dimensionen, in die der Raum aus dem Paschageschehen sich eröffnet, entsprechen – dies fällt uns auf – der zweiten Triade der von uns beobachteten Ansatzpunkte für den priesterlichen Dienst. Hin zur Welt = missio; hin zum Vater = Anbetung im Geist; zueinander = communio. Der [22] Priester ist dafür da, daß diese drei Bewegungen das Leben von Kirche formen, durchdringen und alle Menschen in sich hineinnehmen. Er ist die lebendige Synthese dieser drei Bewegungen. Und von wo aus vermag er dies zu sein, wenn nicht vom Platz im gekreuzigten und auferweckten Christus her? Im „allgemeinen“ Platz des Christen ist auch der „besondere“ Platz des Priesters umschlossen. Wir dürfen, sozusagen auf doppeltem Boden, aber auch die ersten drei Ansatzpunkte eines Priesterbildes im „absoluten Zwischen“ und dem in ihm sich eröffnenden Raum lesen. Zunächst: die Botschaft ergeht, sie ist das Wort, das der Vater hinaussendet bis in den Schrei und das Verstummen der äußersten Ferne von Gott. Alle, und zumal die Fremdesten und Fernsten, sollen es hören. Liturgie steigt auf, ist Darbringung des Sohnes für uns zum Vater – und in sich bringt der Sohn uns, die Welt zum Vater heim. Liebe, die verbindet, Liebe, in der einer des anderen Knecht wird, einer den anderen liebt, wie Jesus ihn geliebt hat, ist jener Bruderdienst, in dem Gemeinde, Kirche sich zur Einheit bildet. Der bis in den Tod und die Verlassenheit hineingegebene Sohn: äußerste Konsequenz des Zeugnisses, sich entäußerndes und so gerade vollbringendes Wort. Der in sich alle und alles bis hin zu Tod und Verlassenheit sich in die Hände des Vaters Verschenkende: reines Opfer, höchste Verherrlichung Gottes, innigste Einung zwischen Erde und Himmel. Der in seinem Leib alle Feindschaft Tötende, in seiner Verlassenheit alle Verlassenen Erfüllende und alle Getrennten Einende: Dienst der größten Liebe, Werk der Einung und des Friedens. Doch sodann gilt es, dasselbe noch einmal eine Schicht tiefer anzuschauen. Die „martyria“, die Verkündigung, das Zeugnis umfaßt das Ganze dieses Geschehens. Das Wort ist Wort von Kreuz und Auferstehung, von Tod und Herrlichkeit. Es ist Botschaft von der Liebe, die Gott ist und sich verschenkt, indem sie den [23] Sohn verschenkt zur Versöhnung der Welt. Es ist Botschaft vom Zugang, der uns im Kreuz eröffnet, vom Neuen Bund, der im Blut des Sohnes geschlossen ist und nie mehr bricht. Das Wort ist Evangelium des Friedens, der uns miteinander verbindet, Botschaft des Reiches, das sich schon jetzt den Weg bahnt, wo wir eins sind mit dem Herrn in der Mitte. Das Paschageschehen, die drei Richtungen der absteigenden, der aufsteigenden, der vereinenden Liebe ermessen das ganze Mysterium des Heils, das uns in Christus offenbart und das der Kirche als Botschaft für die Welt an vertraut ist. Gegenwart des Kreuzesopfers und in eins damit Gegenwart des verherrlichten, österlichen Christus, dies ist das Geschehen der Eucharistie. In ihr verdichtet sich das sakramentale Leben der Kirche, in ihr die leiturgia. Die drei Grundrichtungen der Eucharistie: ausgeteiltes Brot des Lebens für die Welt – Opfer und verherrlichende Danksagung – Mahl der Einheit, Überbauung des Leibes der Kirche in der Kommunion der Glieder mit dem Haupt und miteinander. Schließlich verschränken sich in einer umfassenden Sicht der Diakonie wiederum alle Richtungen des Paschageschehens. Liebe steigt ab ins Unten. Diakonie tut mit, was Christus vom Vater her in seiner Entäußerung an uns und für uns getan hat. Nur so, aus dieser grundlosen Initiative heraus erwächst die Gegenseitigkeit der Liebe nach dem Maß des Neuen Gebotes: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 13,34). Wo aber der gegenseitige Dienst sein Ziel, die Einheit in der Liebe, erreicht, da steigt aus ihm der Lobpreis auf; die Liebe selber wird zu Anbetung und Opfer, unsere Liebe wird von der Liebe Christi zum Vater emporgetragen im Geist.

[24] Den neuen Platz bewohnen

In fast formelhafter Übersicht haben wir eine Orientierungsskizze erstellt, wie sich die Ansatzpunkte und Momente priesterlichen Selbstverständnisses zusammenfügen in jenem Punkt, der dem Priester mit seinen Schwestern und Brüdern und für sie im letzten Platz Christi zugewiesen ist. Mit einer solchen Planskizze kann man freilich einen Platz allenfalls ausmachen, nicht aber auf ihm verweilen, ihn bewohnen. Wie der Priester die aufgerissenen Wege in seinem Tun Schritt um Schritt begehen kann, wird uns noch in anderem Zusammenhang beschäftigen. Damit ist aber die Frage nicht beantwortet, wie er im Punkt dieses „absoluten Zwischen“ persönlich Stand und Gleichgewicht finden kann. Der Weg dahin eröffnet sich wohl nur schwer, wenn wir zuerst die theoretische Stimmigkeit ausmachen: In der Tat, die verschiedenen Perspektiven des Priestertums, die wesentlichen Elemente solchen Seins und Auftrags kommunizieren miteinander, treten in ein organisches Gefüge von dieser Mitte aus – also ergreifen wir sie! Nein, es geht weit eher umgekehrt: Im Betroffensein vom eigenen „Dazwischen“, von der eigenen Ohnmacht vor der Aufgabe entdecke ich den, der mir entgegengekommen ist, der sich genau dorthin begeben hat, wo ich bin und doch nicht sein kann. Er ist bei mir – ich öffne mich seiner Liebe, glaube an seine Liebe und wähle nun den Standort bei ihm. Dies ist das Entscheidende: sich zu ihm stellen, sich antwortend an den Kreuzpunkt des „absoluten Zwischen“, sich antwortend unter das Kreuz stellen. Solche Antwort braucht freilich nicht durch die negative Erfahrung der eigenen Überforderung, sie kann auch durch das Mit-Leiden mit denen, für die ich da bin, sie kann schließlich ganz einfach durch das Innewerden, wie sehr ich geliebt bin, zutage kommen. Glauben an seine Liebe, seine Liebe, [25] über die hinaus es keine größere geben kann, in seiner Gottverlassenheit und seinem Kreuz entdecken – und dann den Mut haben, diesen Platz zu erwählen, um schließlich gewahr zu werden: Ja, gerade hier „gehen“ erst Christsein und Priestersein – dies ist der Weg. Wer diesen Weg geht, der entdeckt seinen Ruf neu. Ich bin gerufen von ihm und zu ihm, um mich an ihn zu verschenken und von ihm verschenkt zu werden an die Welt, an den Vater, an die Schwestern und Brüder. Mein Leben erhält eine Mitte, und die Landschaft des Daseins und der Welt fügt und gliedert sich: Wege, Kreuz-Wege fuhren hindurch, und sie führen von Karfreitag hin zu Ostern.