Verkündigung und Dialog

Der Doppelcharakter des Offenbarungswortes als Wort Gottes und Menschenwort

Wenn Verkündigung des Wortes Gottes den Dialog zwischen Glaubenszeugnis und Welterfahrung braucht, wenn folglich – dies ist nicht einfachhin dasselbe, hängt aber aufs engste damit zusammen – die Kirche die Fundamentaltheologie braucht, dann ist es gut, dieses Verhältnis von seiner Wurzel her in den Blick zu nehmen. Und diese Wurzel ist das dem Offenbarungswort selbst inwendige Verhältnis zwischen Gotteswort und Menschenwort.

Wenn Gott sich dem Menschen offenbaren will, wenn er ihm ein Wort sagen will, in welchem untrüglich er selber als der Urheber dieses Wortes dem Menschen sich eröffnet in einer Tiefe, die den immanenten Möglichkeiten menschlicher Erfahrung und Spekulation unzugänglich bleibt, so gibt es nur den einen Weg: daß Gott sein göttliches Wort ins menschliche Wort faßt und als menschliches Wort dem Menschen mitteilt. Nur wenn der Mensch als [65] denkendes und sprechendes Wesen innerhalb seiner eigenen Möglichkeiten des Denkens und Sprechens angesprochen wird, kann ihn das erreichen, was größer ist als alles, das er aus sich selber erdenken und aussagen kann. Der Mensch als unendlich-endliches Wesen steht in diesem Dilemma der Selbsttranszendenz: er reicht über sich hinaus, aber dieses Hinausreichen über sich ist Verweis, und dieser bleibt als solcher notwendig hinter dem zurück, worauf er deutet. Diese vielschichtige Problematik der Analogie menschlichen Denkens und Sprechens von Gott ist auch der Grund der Möglichkeit des Menschen, Offenbarung als solche zu verstehen, insofern also: Grund der Möglichkeit von Offenbarung. Kann diese als Offenbarung auch ihr selbst gemäß nur durch das Licht im Glauben ergriffen werden, das der offenbarende Gott mitteilt, so bedarf dieses Licht doch des über sich selbst ins Unendliche hinaussehenden, das Unendliche als das nicht mehr Überschaubare und Durchschaubare mitsehenden, zu ihm hinsehenden Auges menschlichen Geistes. Schiene dem Auge des menschlichen Geistes nicht das Licht natürlicher Erkenntnis, so wären Offenbarung und Glaube nicht möglich.

Das Wort Gottes übersteigt als solches das Menschenwort, in dem es sich verfaßt, und doch sagt dieses Menschenwort als es selbst, in dem, was es als menschliches sagt, die Offenbarung Gottes. Damit der Mensch die Offenbarung Gottes verstehen kann, muß Gott nicht nur den menschlichen Intellekt durch seine erleuchtende Gnade über sich hinausheben, sondern er muß sich zugleich zum Menschen und zu seinen Verständnismöglichkeiten herablassen – dass Gott dies tut, das gerade ist Offenbarung. Es sagt etwas über Gott selber aus, daß er sich offenbart, daß er sich mitteilen will, daß er sich dem geben will, der kleiner ist als er und ihm in seinem Verhältnis gar nicht adäquat entsprechen kann. Daß Gott sich in seiner Offenbarung – wenn dieses Wort erlaubt ist – unterbietet, ist mehr als bloß Notbehelf; es ist von Gott nicht nur in Kauf genommen, sondern gewollt. Gott will bei dem sein, was er erschaffen hat, er ist der Gott für uns, der sich überschreitet, der sich zuneigt, der sich herabläßt. Diese Herablassung ist so groß, daß der Mensch der Gnade bedarf, um sie zu verstehen und sich auf sie einzulassen; diese Herablassung ist so niedrig, daß sie auf der menschlichen Ebene des Menschen ankommt, auf ihr dem Menschen sich mitteilt und ihn anspricht. Gerade das wollte gesagt werden mit dem Satz, daß das menschliche Wort der Offenbarung als menschliches die göttliche Offenbarung enthält, ja göttliche Offenbarung ist.

Das hat aber Konsequenzen. Der Mensch muß auf seiner menschlichen Ebene in menschlicher Erfahrung darauf aufmerksam werden können, daß er von etwas angesprochen ist, das ihn ganz und gar angeht und zugleich ihn übersteigt. Gottes Offenbarung muß dem menschlichen Geist ein menschlich erkennbares Ecce zurufen, den Menschen innerhalb seiner menschlich mit- [66] gebrachten, menschlich möglichen Erfahrungen, Sehnsüchte und Fragen ansprechen. Auf dieser Ebene, auf der Ebene rationaler Argumentation muß Gottes Wort für den Menschen menschlich belangvoll, ja als Wort des unendlich Größeren glaubwürdig sich dartun bzw. dargetan werden können. Dann aber muß der Inhalt, das Gesagte des Offenbarungswortes auch in sich einen innerhalb der Ordnung rationaler Argumentation ausweisbaren und unterscheidbaren Sinn mitteilen, der es einfügt in das Beziehungsgeflecht aller menschlichen Denk- und Aussageinhalte, sonst sagte Offenbarung nichts. Damit ist keineswegs die andere Ordnung jener Wahrheit nivelliert, in welcher gegenüber dem Experimentierbaren und Konstruierbaren wie auch immer vom Menschen her Erfahrbaren und Erdenkbaren Gottes Offenbarung steht. Aber diese Andersheit der Ordnung selbst läßt sich rational artikulieren und tritt somit in ein Verhältnis zu dem, worüber sie hinausragt und wovon her sie sich nicht in ihrem Eigenen erreichen läßt. Die dem menschlichen Geist immanente Fähigkeit zur Selbsttranszendenz reicht bis dahin, daß auch die Offenbarung in aller Andersheit als den Menschen angehend, einfordernd und erfüllend in Sicht kommt.

Wenn Gottes Wort also auf die Ebene menschlicher Worte herabsteigt, um hier als ein Wort unter anderen den Menschen einzuladen und ihm zu sagen, daß es eben kein Wort nur unter anderen ist, dann gehört innerlich und konstitutiv zum Offenbarungswort sein Dialog mit den menschlichen Worten hinzu. Anders gewendet: Gott sagt durch sein Offenbarungswort dem Menschen, daß er sein Heil ist; dann aber läßt dieses Wort sich auf die mitgebrachte Heilsbedürftigkeit und Heilssehnsucht des Menschen ein, bezieht es sich als Wort der Erfüllung auf menschliche Fragen und Bedürfnisse, tritt es ein in Erwartungshorizonte und Erfahrungshorizonte des Menschen. Und dies ist nicht ein unvermeidliches Übel, sondern der Vollzug der Intention, welche die Offenbarung an sich selbst verfolgt, ja selbst Offenbarung des Gottes, der – was der Mensch aus sich selbst nicht wissen oder gar fordern kann – dem Menschen nahe sein, sich ihm eröffnen will. Wer das Wort Gottes verkündet, der muß den Dialog dieses Wortes Gottes mit den Menschenworten mitverkünden, sonst verkündet er nicht ganz Gottes Wort. Dann aber muß er zugleich in seiner Verkündigung und über sie hinaus, sozusagen in ihrer für sie mit konstitutiven Vor- und Nachgeschichte, sich in den Dialog mit den menschlichen Worten und Erfahrungen begeben.